Obwohl die bildhauerischen Arbeiten Tom Ottos variieren, lassen sich doch unverkennbare Grundzüge seiner künstlerischen Vorgehensweise an ihnen ablesen. Otto arbeitet fast ausschließlich mit vorgefundenen, industriell gefertigten Produkten, meist Möbelstücken, die in immer wieder neuen Arrangements zusammengebracht und miteinander kombiniert werden. Von zentraler Bedeutung für Tom Ottos Werke ist dabei die Wahl der Materialien, die aus dem alltäglichen Zusammenhang herausgenommen zu autonomen Formen werden. Der ehemals funktionale Gebrauchswert der 'readymade'-artigen, auf dem Sperrmüll oder in Trödelläden entdeckten Alltagsgegenstände wird dabei aufgehoben, sie werden zu zweckentfremdeten, dysfunktionalen Gegenständen der Betrachtung. Die zwar gebrauchten, jedoch nicht 'trashigen' Fundstücke mit ihrem ehemals praktischen Nutzen, ihrer individuellen Geschichte und ihren symbolischen Konnotationen werden so zum Kunstobjekt. Damit lässt Tom Otto uns einen neuen Blick auf unser scheinbar vertrautes Umfeld werfen, welches unter der Regie des Künstlers ein eigentümliches, fantasievolles Eigenleben zu führen scheint. Seine Werke entfalten eine eigene, erzählerische Poetik, der meist etwas verspielt-witziges innewohnt. In seiner 2006 entstandenen Arbeit Abendgesellschaft schichtet er beispielsweise sämtliche für einen festlichen Abend mit Freunden benötigten Materialien, also Tisch, Gläser, Tischdecken, Kerzen usw. übereinander zu einem streng geometrisch angeordneten Kubus, bricht das Raster dann jedoch mit einer in diesem Zusammenhang wie fehl am Platz erscheinenden Lage Reisig wieder auf.
Charakteristisch für viele von Otto's Arbeiten ist dieses Aufeinandertreffen von ursprünglichen, natürlichen Materialien mit den industriell verarbeiteten, quasi 'domestizierten', vom Menschen geformten Einrichtungsgegenständen. Es handelt sich um ein Zusammentreffen von Natürlichem und Menschengemachtem, von Natur und Zivilisation in Form von Wohnkultur. Stilistisch bewegt Otto sich damit irgendwo zwischen Arte Povera und Nouveau Realisme, dabei entstehen groteske, häufig humor- und fantasievolle Werke, die trotz der Beschränkung auf wenige Materialien ein erstaunlich narratives Potential entfalten.
Tom Otto arbeitet in seiner unbetitelten, Installation für die Marktkirche ebenfalls mit industriell gefertigten Möbelstücken, die in eine prekäre Balance zueinander gebracht werden – das eine Element kann nur mit Hilfe des anderen in seiner jeweiligen Position bestehen. Gezogen wird diese fragil erscheinende Reihung unterschiedlicher Stühle und eines Tisches durch eine, aus mehreren Teilen konstruierte und abstrahierte, hölzerne Spinne. Daneben platzierte Hand- und Kehrbesen verleihen der ohnehin destabilen Situation etwas höchst improvisiertes, provisorisches. Das Werk funktioniert auch über das paradoxe Kräfteverhältnis, das ihm innewohnt – ein kleines Lebewesen zieht die schwere, um ein Vielfaches seiner selbst größere Installation.
Andreas Prinzig, 2007