Vom Menschen erzählen
Zum Werk von Tom Otto
Die Strategie, für seine Kunst Stoffe und Materialien aus dem Alltag, zu wählen, die manchmal ungebraucht, oft auch abgelebt und ausgemustert, im Reich der Kunst eine neue Bedeutung annehmen und einen zweiten Atem entfalten, teilt Tom Otto mit den Dadaisten und Neodadaisten. Der Urvater dieser Landnahme allerdings und damit auch der frühe Überwinder von Trennungen wie high and low, Kunst und Leben war der Franzose Marcel Duchamp. Ihm, dem scharfen Denker und kühlen Schachspieler, ging es dabei um die semantische Neubestimmung, die immer dann stattfindet, wenn ein neuer Kontext neue Bedeutung schafft. Ein Pissoir in einem Sanitärgeschäft hat eine andere Wertigkeit als in einem Museum. Was Tom Otto bei seinen Rückgriffen auf den Alltagsgegenstand interessiert, ist indes nicht seine Konzeptualisierung, sondern seine Poetisierung. Eine Poetisierung, die ganz im Zeichen des Geschichtenerzählens steht. Wenn der Künstler auf Flohmarkt und Dachboden, in Kellern und Geschähen, Gegenstände findet, sie nach Haus trägt und in seinem Atelier neu arrangiert, sie in ungewohnte Ordnungen und Beziehungen bringt und durch selbst gefertigte Obiekte ergänzt, dann arbeitet er wie ein Zauberer und Alchemist. Wie einer aus iener mittelalterlichen Zunft, die aus Eisen Gold zu machen suchten. Unter seiner Hand werden die banalen und alltäglichen Dinge Teil einer verwandelnden Choreographie und zauberischen Inszenierung. Und wenn wir auf sie schauen, schauen wir in einen Spiegel. Dabei beherzigt Tom Otto aufs Schönste den Rat von Jean Cocteau, den dieser einst einem jungen Künstler als Rezeptur für seine Kunst gab: Faites-moi etonner! - Setzen Sie mich in Erstaunen! Otto's Schichtenmodell einer Abendgesellschaft aus dem Jahre 2004 bündelt wie ein cantus firmus unterschiedliche Facetten menschlicher Existenz und bindet sie an die Biographie des Künstlers. Ein Tisch trägt Stühle und Hocker. Die wiederum trogen feine Tisch- und Bettwäsche, auf denen wir in einer weiteren Schicht alle möglichen Arten von Gläsern sehen. Es folgt eine Schicht weißer Kerzen, darüber trockenes Reisig, dann eine Loge von Musik-CDs, ein Feld von Bettfedern und schließlich ein alles rahmendes Passepartout. Metonymisch erzählt das Werk davon, wie der Mensch sich einrichtet in der Welt. Von seinen Möglichkeiten und Grenzen. Auch die Deutsche Landschaft (2006) nutzt das Bild einer Tischgesellschaft, um vom Menschen zu erzählen. In der Montage unterschiedlicher Materialien und in der Opposition verschiedener Formen und Farben werden nicht nur ästhetische Spannungen, sondern auch nationale Pathologien thematisiert. Die Hecken, die hier stellvertretend für den Menschen am Tisch Platz genommen hoben, könnten krauser und wirrer nicht sein. Das Werk Tom Ottos für den diesjährigen Salon Salder ist eine Materialassemblage der surrealen Art. Ein Bild, wie es in Träumen oder auch Alpträumen sich einstellen mag, von poetischer Leichtigkeit und prosaischer Schwere, zugleich lastend und schwebend, humorvoll und ernst, kalauernd und philosophisch. Ein Bett scheint abheben zu wollen aus seiner ursprünglichen Position auf dem Boden. Drei seiner Füße werden getragen, von einem Igel, einem Hosen, einem Stein. Ein Bettfuß verharrt in der Luft. Im Vordergrund auf einem Stein sehen wir einen weiteren Hasen in die Weite schauen und im Bett statt eines Schläfers einen mächtigen Stein. Einmal mehr entfaltet auch dieses Werk von Otto einen weiten Hallraum. In ihm mischen sich Erinnerungen ans Märchen wie Erlebnisse vom Tag, Fantasie und Fiktion, Bericht und Wirklichkeit. Die Sehnsucht des Aufbruchs und die Fesseln des Alltags bilden hier ein ebenso zartes wie fest verbundenes Gespann.
Michael Stoeber, 2007